„Das Kapital“ ist das Hauptwerk des deutschen Philosophen Karl Marx (1818-1883). In diesem übte er Kritik am Kapitalismus. Seit dem Erscheinen seines Buchs haben sich Revolutionäre und Tyrannen gleichermaßen auf ihn berufen. Findet man in Marx’ Werk Antworten auf aktuelle Fragestellungen? Wir beleuchten, warum die Arbeit des Philosophen ein heißes Thema ist.
Welche Zielsetzung verfolgte Marx mit seinem Werk?
Im Untertitel bezeichnete Marx die Zielsetzung seines Werkes als “Kritik der politischen Ökonomie”. Er richtete sich dabei gegen die politischen Machtverhältnisse, die aus seiner Sicht allein darauf ausgerichtet sind, die Abhängigkeit der Arbeiterklasse vom Privateigentum zu sichern.
Was ist die Grundaussage von „Das Kapital“?
Marx kam zu dem Schluss, dass im Kapitalismus stets Geld (G) investiert wird, um Waren (W) zu erzeugen. Diese werden für mehr Geld (G) verkauft, um einen Gewinn zu erzielen. Daraus resultiert die zentrale Formel des Kapitalismus: G – W – G.
Der Gewinn kann reinvestiert werden, um wieder Waren zu erzeugen und noch mehr Geld zu verdienen. So entsteht ein Kreislauf, der das sogenannte Kapital erzeugt. Das Kapital spiegelt sich in den erzielten und reinvestierten Gewinnen wider. In diesem Kreislauf wächst das Kapital stetig an.
Marx prägte auf Basis der oben genannten Formel den Begriff des Mehrwerts. In diesem sah er den Grund dafür, dass die Arbeitnehmer viel länger arbeiten, als es für ihr Überleben notwendig ist. In einem fiktiven Beispiel ging Marx davon aus, dass sechs Arbeitsstunden ausreichen, um die Güter zu produzieren, die eine Arbeiterfamilie für das Bestreiten ihres Lebensunterhalts benötigt.
Da die Arbeiter zur damaligen Zeit oft rund 12 Stunden am Tag arbeiteten, konnte der Kapitalist die weiteren sechs Stunden Arbeitszeit “abschöpfen”. Dieser Mehrwert wurde zu seinem Gewinn, den er auf Kosten der Arbeiter generierte. Demnach basiert der Kapitalismus laut Marx auf der Ausbeutung der Arbeiterschaft.
Diese Überlegung hat allerdings auch ihre Schwächen, die in einem Artikel auf bpb.de gut dargelegt werden.
Welche Themen behandelt der 1. Band?
Im ersten Band analysierte Marx die kapitalistischen Produktionsprozesse. Darin unterschied er zwischen den Hauptelementen einer Ware, nämlich ihrem Tauschwert (Wert im Verhältnis zu anderen Waren) und ihrem Gebrauchswert (Nutzen). Er erörterte darüber hinaus den in der Ware enthaltenen Wert der Arbeit im Verhältnis zum letztlichen Warenwert.
In der Frage des Warenhandels und der Güterzirkulation im Verhältnis zum Geld griff Marx folgende Punkte auf:
- Die Transformation des Geldes in Kapital: Dieser Prozess spiegelt sich in der bereits beschriebenen Formel G-W-G wider.
- Die Arbeits- und Verwertungsprozesse: Der durch Arbeitskraft und Arbeitsmittel erzeugte Wert muss im Kapitalismus höher sein, als der Wert der eingesetzten Arbeitskraft/-mittel. Die Differenz ist der Mehrwert.
- Der absolute Mehrwert: Hierunter versteht Marx den Mehrwert, welcher durch die Erhöhung der Arbeitslast erzeugt wird. Wenn ein Arbeiter beispielsweise bei gleichem Lohn eine höhere Stückzahl produzieren muss als bisher, steigt der erzeugte Mehrwert.
- Der relative Mehrwert: Hierbei handelt es sich um den Mehrwert, der durch die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit auf Basis einer Optimierung der Produktionsprozesse erzeugt wird. Wenn beispielsweise durch eine verbesserte Organisation der Produktionsprozesse innerhalb eines Arbeitstags mehr Produkte produziert werden als bisher, steigt der erzeugte Mehrwert.
Am Ende des ersten Bandes wendete sich Marx dem Prozess der Kapitalakkumulation zu, d.h. der Umwandlung des Mehrwerts in Kapital. Der Kapitalist häuft Geld an und reinvestiert einen Teil davon, um zusätzliche Produktionsmittel zu kaufen.
So wird ein sich selbst verstärkender Prozess in Gang gesetzt. Die Arbeitsproduktivität wird durch eine intensive Kapitalakkumulation massiv gesteigert, zum Beispiel, indem der Kapitalist die Produktionskapazitäten erweitert oder in technische Weiterentwicklungen investiert.
Welche Themen behandelt der 2. und 3. Band?
Band 1 macht mit rund 400 Seiten den größten, aber auch anschaulichsten Teil des Werkes aus. Das zweite und dritte Buch sind wesentlich schwieriger zu verstehen. Hier konzentrierte sich Marx auf die mathematische Beweisführung, um den Kapital-Kreislauf mit zahlreichen (nicht immer sehr erhellenden) Gleichungen zu “belegen”.
Im zweiten Band behandelte Marx den zirkulären Prozess des Kapitals. Dieser umfasst die Umformung, den Umschlag, die Reproduktion und die Zirkulation des gesellschaftlichen Kapitals in seiner Gesamtheit.
Band 3 befasst sich mit dem kapitalistischen Produktionsprozess als Ganzem, insbesondere mit Zins und Profit.
“Das Kapital” ist als PDF im Volltext verfügbar:
Schrittweise Veröffentlichung
Der erste Band erschien 1867. Die weiteren Bände des dreiteiligen Werks gingen erst nach Marx’ Tod in den Druck.
Der zweite Band wurde 1885 von Marx’ Kollegen und engen Freund Friedrich Engels (1820-1895) herausgegeben. Die Veröffentlichung der Komplettausgabe aller drei Bände erfolgte erst in den 1960er Jahren.
“Das Kapital” wurde von Marx selbst und auch von Engels in unterschiedlichem Maße bearbeitet und redigiert.
Historische Hintergründe
Doch wie kam Marx zu den Erkenntnissen, die er in seinem Buch darlegte?
Marx untersuchte während seines Exils in England die Auswirkungen der industriellen Revolution. Er beobachtete, wie in den englischen Städten die Fabriken wie Pilze aus dem Boden schossen.
Die auf Spezialisierung und Arbeitsteilung ausgelegten Fertigungsprozesse in den Industriebetrieben führten zu einer massiven Erhöhung der Produktivität. Außerdem machte die Dampfmaschine, welche im 18. Jahrhundert erfunden wurde, die Unternehmen unabhängiger von natürlichen Antriebsfaktoren wie Wasser, Wind- und Muskelkraft.
Hinzu kam, dass in England zu dieser Zeit öffentliches Weideland in Privateigentum umgewandelt wurde. Viele Grundbesitzer enteigneten die ansässigen Bauern und entzogen ihnen dadurch die Lebensgrundlage. Die Landbewohner hatten keine andere Wahl, als in den Städten zu arbeiten. So entstand im 18. und 19. Jahrhundert durch Industrialisierung und Privatisierung eine neue Klasse von Armen: die Proletarier.
Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und leitet sich von “proles” ab, was so viel wie „Nachkommenschaft“ bedeutet. Hierunter verstand man im alten Rom die Land- und Besitzlosen. Marx wandte diesen Begriff auf die Arbeiterschaft an. Er wollte damit verdeutlichen, dass die Arbeiter über keine anderen Produktionsmittel als ihre Arbeitskraft verfügten. Dadurch waren sie gezwungen, ihre Arbeitskraft als “Lohnsklaven” an die Kapitalisten zu verkaufen.
Zu den gesellschaftlichen Folgen dieses Systems gehörten Armut, miserable Gesundheits- und Wohnverhältnisse und sehr lange Arbeitszeiten. Darüber hinaus führten Überbevölkerung und kapitalistische Rationalisierungsversuche zur Heranbildung einer “industriellen Reservearmee”. Hierunter verstand Marx die Tagelöhner und Arbeitslosen, welche die ohnehin schon niedrigen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen stark unter Druck setzten.
Wie beeinflusste „Das Kapital“ die Politik?
Die Kapitaltheorie mit ihrer Analyse und Kritik der kapitalistisch geprägten Gesellschaften übte auf den politischen Kurs der entstehenden Arbeiterklasse einen wesentlichen Einfluss aus. Sie wurde zur ideologischen Basis der kommunistischen und sozialistischen Parteien des 20. Jahrhunderts.
Die realsozialistischen Staaten in Osteuropa und ihr Marxismus-Leninismus entfernten sich jedoch deutlich von vielen der marxistischen Vorstellungen einer besseren Gesellschaft.
„Das Kapital“ hat immer noch Aktualität
Marx’ Werk hat aber immer noch Aktualität. 2008 erfuhr „Das Kapital“ im Zuge der weltweiten Finanzkrise einen neuen Verkaufsboom.
Marx erkannte, dass der unerbittliche Konkurrenzkampf und die Verdrängung des Menschen durch die Maschine dazu führt, dass zwar die Produktivität steigt, die Preise aber gleichzeitig sinken.
Dadurch muss immer mehr produziert werden, um ausreichend Profit zu erwirtschaften. Zugleich versiegen die Profitquellen, da die Märkte zunehmend gesättigt sind. Sinnbildlich gesprochen, sägt der Kapitalismus am eigenen Ast.
Um dem entgegenzuwirken, versucht man die Löhne weiter zu senken, politische Widerstände zu brechen und Menschen in Kunden umzuwandeln. Daraus resultiert wiederum eine zunehmende Privatisierung und Kapitalisierung – eine Entwicklung, die wir auch heute deutlich beobachten können.
Die Privatisierungswelle, welche in den 1980er Jahren im Zuge des aufkeimenden Neoliberalismus ihren Anfang nahm, schreitet unaufhörlich voran. Es wird auch nicht vor Aufgaben haltgemacht, die der Abdeckung unserer Grundbedürfnisse dienen, wie das Gesundheitswesen oder die Wasserversorgung.
Die Globalisierung schürt zudem den Konkurrenzkampf und die zunehmende Digitalisierung vernichtet Arbeitsplätze. Gleichzeitig werden immer wieder neue Profitquellen erschlossen. Wir scheinen mit dem Ritt auf der Welle des ungebremsten Kapitalismus unser Schicksal komplett in die Hände profitorientierter Unternehmen zu legen.
Damit die Welle nicht abflacht und der Kreislauf der Kapitalgenerierung nicht zum Erliegen kommt, beuten wir unsere Umwelt immer weiter aus und vernichten unsere letzten Lebensgrundlagen.
So zeigt sich, dass Marx bereits vor rund 150 Jahren die Mechaniken des Kapitalismus entschlüsselt hat, die uns heute schwerwiegende Probleme bereiten.
Allerdings hat sich sein Gegenentwurf – der Kommunismus – spätestens seit dem Zusammenbruch des Ostblocks als völlig illusorisch erwiesen.
Vielleicht finden wir in einem ausgewogenen Konzept bessere Ansatzpunkte. Eine durchdachte und schärfere Abgrenzung privatwirtschaftlicher und staatlicher Aufgabengebiete sowie eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft könnten ein guter Anfang sein.
Aufnahme in das Weltdokumentenerbe
Eine Ausgabe des 1. Bands des Kapitals mit handschriftlichen Kommentaren von Marx wurde im Juni 2013 auf gemeinsamen Vorschlag Deutschlands und der Niederlande in die Liste des UNESCO-Weltdokumentenerbes aufgenommen. Das Manuskript wird im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam aufbewahrt.
Liebe Leser*innen, nun seid Ihr gefragt! Sind Euch weitere interessante Fakten zu “Das Kapital” von Karl Marx bekannt? Wir freuen uns, wenn Ihr Eure Gedanken unten in die Kommentare schreibt. Vielleicht ergibt sich eine spannende Diskussion.
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Literatur:
- Fetscher, Iring: Marx: Eine Einführung (suhrkamp taschenbuch wissenschaft), 1. Aufl., Suhrkamp Verlag, 16.04.2018
- Most, Johann/Karl Marx: Kapital und Arbeit: „Das Kapital“ von Karl Marx in einer handlichen Zusammenfassung, CreateSpace Independent Publishing Platform, 03.08.2017
- Piketty, Thomas/Ilse Utz/Stefan Lorenzer: Das Kapital im 21. Jahrhundert, 4. Aufl., C.H.Beck, 21.12.2020
Beitragsbild: Das Kapital – Mitte27, CC0, via Wikimedia Commons
Vielseitig interessierter und leidenschaftlicher Autor zu Themen, wie Geschichte, Philosophie, Technik, Wirtschaft, Literatur uvm.